Natur
Landschaft und Identität
Bild: A French estate, oil on canvas; French School, early 18th Century
Pflanzen sind zentrales und begründendes Element von Landschaft, einem Begriff mit vielen Bedeutungsdimensionen. Mit ihm bezeichnen wir etwas, das geografisch, rechtspolitisch, territorial oder ästhetisch irgendwie begrenzt oder besonders erscheint. Allen Definitionen ist dabei zu eigen, dass sie Landschaft als eng mit dem Menschen und seinen gestaltenden, ordnenden und begrenzenden Eingriffen zusammendenken: Landschaft meint das komplexe Zusammenspiel naturbedingter und anthropogener Bestandteile – und unsere subjektive Bewertung dieser wechselseitigen Beeinflussung von Natur und Kultur. Landschaft, so der Soziologe Lucius Burckhardt, ist nicht in den Erscheinungen der Umwelt zu suchen, sondern in den Köpfen ihrer Betrachter*innen.
Am Beispiel der Gartenkunst zeigt sich außerdem, wie in der Gestaltung von Landschaft über deren reine Nutzbarmachung hinaus das Naturverständnis einer Zeit oder Epoche Ausdruck findet: In ihrer Gestaltung durch den Menschen ist Landschaft demnach immer auch mit ästhetischen Bewertungen verknüpft und prägt die kulturelle Identität einer Gesellschaft oder Gruppe. Landschaftstypische Erscheinungen wie etwa Berge oder Pflanzen werden im kulturellen Diskurs zu Wahrzeichen oder Symbolen, die die Besonderheit der jeweiligen Gegend – und der dort lebenden Menschen – unterstreichen sollen. Für die Bewohner*innen ist diese identitäts- und identifikationsstiftende Funktion von Landschaft von großer Bedeutung und sie findet zunehmend auch in Entwicklungskonzepten der Raum- und Regionalentwicklung Berücksichtigung, um Orte nach den inneren Vorstellungsbildern der dort lebenden oder dorthin reisenden Menschen zu gestalten.
Zwischen Lebensraum und Nutzraum
Bild: Feldabschnitt "Wildacker", Musterfeld Workshop Flurform, S. Schwabe, 2019
Das besondere Zusammenwirken anthropogener und naturbedingter Komponenten von Landschaften liegt in den verschiedenen Bedürfnissen begründet, die der Mensch an sie stellt. Die uns umgebenden Naturräume sollen sowohl produktive als auch reproduktive Funktionen erfüllen: Landwirtschaft, Infrastruktur, Mobilität, aber auch die natürliche und menschliche Regeneration sollen in ihr Platz finden. Diese sich stellenweise widersprechenden Interessen führen nicht selten zu Konflikten in der Planung von Landschaften, so etwa wenn der Schutz des natürlichen Lebensraums von Arten gegen den Bau von Siedlungen abgewogen werden muss. Politische und ökonomische Interessen auf regionaler, nationaler und globaler Ebene fließen in die Gestaltungs- und Planungsprogramme ein und ordnen Landschaften verschiedene Funktionen zu, wobei meist in „Schutzräume” und „Nutzräume” unterschieden wird.
Vor dem Hintergrund des voranschreitenden Klimawandels sehen Kritiker*innen derzeitiger Landschaftsplanung diese dichotome Sichtweise auf Naturräume als zu kurz gegriffen – die grenzüberschreitenden Auswirkungen der globalen Erwärmung würden nach neuen, integrativen Lösungen verlangen. Landschaften geraten dabei vermehrt in Bezug auf ihre Minderungs- und Bewältigungsfunktion der Folgewirkungen des Klimawandels in den Blick. Die gezielte Anpflanzung spezieller Baumarten soll beispielsweise dafür sorgen, dass standortangepasstere Wälder entstehen, die nach klimawandelbedingt häufigeren Extremereignissen ihre grundlegende Funktionsfähigkeit erhalten und schneller wieder in ihren ursprünglichen Zustand zurückfinden.
Von Masse zur Macht
Bild: Umgebendes Maisfeld, Musterfeld Workshop Flurform, S. Schwabe, 2019
Mono- oder Reinkulturen, also der konzentrierte und über mehrere Jahre andauernde Anbau einer einzigen Nutzpflanzenart auf einer Fläche, haben sich bereits vor Jahrtausenden entwickelt. Die Vorteile der Bewirtschaftungsart – vereinfachte Pflege, bessere Skalierung, höhere Erträge und leichtere Verarbeitung – schienen lange Zeit deren Nachteile zu überwiegen. War der Boden ausgelaugt, zogen die Menschen weiter und suchten sich neue Anbauflächen. Heute ist dies nicht mehr möglich und doch werden die Landschaften der Erde zu großen Teilen von Monokulturen geprägt, wie die Beispiele Fichtenforste, Palmölplantagen oder Maisfelder zeigen.
Die Folgen von Monokulturen für Ökosysteme und Klima werden fast ausschließlich als negativ bewertet: Die so entstehenden Pflanzen sind anfälliger für Schädlinge und Wetterschäden, die Böden werden zunehmend nährstoffärmer und es müssen mehr und mehr Pflanzenschutz- und Düngemittel verwendet werden, um die Ernte zu sichern. Neben den ökologischen Folgen bergen Monokulturen auch ökologische Risiken: Die Produktionsmethoden der so anbauenden Landwirt&astinnen sind dem Markt und den herrschenden Preisen stark unterworfen. Kommt es zu unvorhersehbaren Katastrophen, tritt im schlimmsten Fall der wirtschaftliche Bankrott ein. Auf nationaler Ebene wird durch Monokulturen das Angebot an landwirtschaftlich erzeugten Produkten stark geschmälert – viele Länder sind zunehmend abhängig von der Nachfrage nach wenigen Produkten.
Das Verschwinden der Wildnis
Bild: Feldabschnitt "Wildnis-F1", Musterfeld Workshop Flurform, S. Schwabe, 2019
Seit einigen Jahrhunderten wächst der Einfluss des Menschen auf die Erde rasant: Klimawandel, Artensterben und die Erosion von Böden sind Symptome einer neuen, geochronologischen Epoche, die Forscher*innen das Anthropozän nennen – ein Zeitabschnitt in der Geschichte der Erde, in welchem der Mensch zum größten Einflussfaktor atmosphärischer, biologischer und geologischer Prozesse herangewachsen ist. Auch die zunehmende Umwandlung von Wildnis- in Kulturflächen wird als ein Merkmal dieser Entwicklung gewertet. Im Zuge der Erdgeschichte wichen wildes Grünland und Wälder zunehmend gehegten Gärten, Anbauflächen und Siedlungsgebieten. Damit einher ging der stetige Verlust natürlicher Lebensräume für Tier- und Pflanzenarten. Wird ein Lebensraum durch menschliche Aktivitäten verkleinert oder verändert, verliert er seinen Artenbestand ganz oder teilweise.
Durch den weitläufigen und intensiven Anbau von Monokulturen etwa verschwindet immer mehr Grünland wie Wiesen, naturbelassene Feldraine und Randstreifen. Noch vor 60 Jahren machten Wiesen und Weiden etwa die Hälfte der Agrarfläche in Deutschland aus, heute dominiert Ackerland mit etwa 71 %. Wildtiere und -pflanzen finden dort keine Lebens- und Rückzugsmöglichkeiten vor, auch das Insektensterben wird durch die fehlende Pflanzenvielfalt begünstigt. Um dem entgegenzuwirken, gibt es seitens der Politik Bemühungen wie etwa neue Blühstreifenverordnungen, die Landwirt*innen anhalten sollen, Blüh- und Schonflächen anzulegen.
Anders anbauen
Bild: Forêts Nourricière, Wen Rolland, 2015
Wie könnten zukunftweisende Anbaumethoden in der Landwirtschaft aussehen? Anbauphilosophien wie Permakulturen oder Waldgärten orientieren sich wieder vermehrt an den Kreisläufen der Natur und suchen ihre Vorbilder im vorindustriellen Ackerbau. Landwirtschaft soll dabei so gestaltet werden, dass sie das Zusammenleben von Menschen, Tieren und Pflanzen in geschlossenen Stoffkreisläufen und sich selbst erhaltenden Systemen erlaubt. Beim Anbau wird auf energieintensive und umweltbelastende Industrietechnologien wie synthetischen Dünger und Pestizide weitestgehend verzichtet.
Eine andere Herangehensweise verfolgt das Precision Farming, ein Verfahren der zielgerichteten Bewirtschaftung landwirtschaftlicher Flächen. Mittels digitaler Analyse- und Navigationstechnologie, Robotik und künstlicher Intelligenz wird die Bewirtschaftung eines Flurstückes dabei an die spezifischen Gegebenheiten des Bodens angepasst. So kann beispielsweise die Düngung eines Feldes teilflächenspezifisch erfolgen. Verfahren wie Pixel Cropping stellen das Prinzip der Monokulturen auf den Kopf: Auf kleinen Flurstücken wird eine möglichst große Vielzahl verschiedener Pflanzen angebaut, deren biologische Eigenschaften sich gegenseitig befördern sollen.
Landschaft neu denken
Bild: Avena Testbed, B. Gross, 2013
Landschaft existiert im Spannungsfeld menschlicher Bedürfnisse und Wünsche und formt sich nach unseren Ansprüchen – nichts „Natürliches” ist dem menschlichen Einfluss mehr entzogen. Vor dem Hintergrund des derzeit vonstattengehenden, teilweise irreversiblen Verlust intakter Ökosysteme und der globalen Dezimierung von Arten fordern mehr und mehr Wissenschaftler*innen, Landwirt*innen, Aktivist*innen und Politiker*innen einen neuen Umgang mit Landschaft, der nicht nur deren Nutzung, sondern auch deren Erhalt plant und steuert. Die Herausforderung liegt dabei darin, Produktions- und Regenerationsbedürfnisse in eine Balance zu bringen und das ökologische Gleichgewicht weitestgehend zu erhalten.
Um dies zu erreichen, werden bereits heute verschiedene Strategien miteinander kombiniert und erprobt. Die im Rahmen des European Green Deals angekündigte Farm to Fork-Strategy der EU sieht beispielsweise vor, unser Lebensmittelsystem umweltfreundlicher zu gestalten, indem der Einsatz von Pestiziden bis 2030 um 50 % verringert werden soll. Auch sollen im Rahmen der Strategie 30 % der EU-weiten Landfläche in Naturschutzgebiete umgewandelt werden, was bisher nur bei 18 % der ländlichen Gebiete der Fall ist. Diese Rückführung von Nutzräumen in Naturräume schließt auch das Wasser mit ein: 30 % der EU-Meeresfläche soll unter Schutz gestellt werden. Kritiker*innen bemängeln, dass die Farm to fork-Strategie noch nicht weit genug gehe, um Ökosysteme und Klima zu schonen. So würden beispielsweise keine Schritte gegen den extensiven Milch- und Fleischkonsum unternommen.